Liebe alle,

hier meldet sich Antonia. Als wir unseren Newsletter FAIR SHARE ins Leben gerufen haben, hatten wir die wirtschaftliche Lage gar nicht so sehr auf dem Schirm. Na klar, auch wir merkten die maue Auftragslage und die etwas gedrückte Stimmung. Aber so richtig bewusst wurde es uns erst, als unser Newsletter so sehr bei euch einschlug. Geteiltes Leid ist halbes Leid, nicht wahr? Zumindest hoffen wir das.

Denn auch Gespräche unter Freelancer:innen sind derzeit eher ernüchternd. “Wie läuft es bei dir?” “War schon mal mehr” “Allerdings”. Betretenes Schweigen.
Aber: Die Erfahrung zeigt, es wird meistens auch wieder besser. Für den Moment bedeutet das: Zähne zusammenbeißen, Geduld haben und gut wirtschaften. Vielleicht auch mal Dinge ausprobieren, die schon lange auf dem Schreibtisch liegen oder euch im Kopf herumschwirren, die bisher immer runterfielen, weil naja, da war noch dieser eine wichtige Job. Ihr wisst schon, all die kreativen Projekte, die immer der Verwertungslogik zum Opfer fallen.

Bei mir bedeutet das: an zwei Büchern schreiben. Mich auf Instagram mehr austoben. Und diesen Newsletter voller Leidenschaft betreiben. Und trotzdem die Augen aufhalten. Manchmal kommen die Jobs ja genau dann um die Ecke, wenn man nicht damit rechnet. Fast wie in der Liebe.

In der letzten Krise stolperte ich so mehr zufällig in einen Teilzeitjob, der mir nicht nur wirtschaftliche Absicherung gab, sondern auch viel beibrachte. Zweieinhalb Jahre war ich für 20 Stunden in der Woche Teamlead in einer Digital-Agentur. Dieser Job hat mich persönlich gefordert und wachsen lassen, meine Stärken aufgezeigt und meine Schwächen spüren lassen. Irgendwann entschied ich mich doch, wieder zurück ins Kreative und in die Vollselbstständigkeit zu gehen. Aber ich möchte diese Zeit nicht missen. Und deshalb auch mein Tipp an alle, die gerade struggeln: Es ist auch okay, wenn man vermeintlich einen Schritt zurückgeht (oder zur Seite) – das ist kein Scheitern, sondern eine kluge Entscheidung. Es gibt immer einen Plan B.

Das sagt auch unsere heutige Expertin. Fotografin Madeleine Dietrich ist selbstständig, und trotzdem auch angestellt als Personalerin. Sie hat viele Seiten des Berufslebens bereits ausprobiert und lebt heute den Mix aus Sicherheit & Kreativität.

Mit im Gepäck dieses Newsletters haben wir heute auch wieder ein paar Jobs, in der Hoffnung, dass sie der ein oder anderen ein besseres Gefühl in der Freelance-Krise geben.

Haltet gut durch,

Antonia mit Michèle

Die Kombi macht’s: Madeleine Dietrich ist Personalerin – und selbstständige Fotografin

Madeleine Dietrich ist der beste Beweis, dass es verschiedene Wege in die Selbstständigkeit gibt. Wir haben mit ihr über ihr Fotografie-Business gesprochen, welche Herausforderungen sie schon meistern musste und wertvolle Tipps, die sie anderen deshalb heute geben kann.

Was waren die größten Aha-Momente auf deinem Weg der Selbstständigkeit?

Vorab: Ich habe schon jede Berufskombination im Leben ausprobiert: Von Angestellt-Sein sein, über eine Anstellung + Selbstständigkeit bis hin zur Vollselbstständigkeit. Diese Erfahrungen sind sehr wertvoll, denn sie haben mir die Möglichkeit gegeben herauszufinden, welche Kombi für mich, in den jeweils verschiedenen Lebensphasen, gut passen.

Blicke ich zurück ist einer meiner größten Erkenntnisse: Es gibt nicht die eine berufliche Lösung, die für uns alle zu jeder Lebensphase passt. Die einen lieben es, nur einen Beruf zu haben. Andere wiederum brauchen zwei oder drei, um glücklich zu sein. Die einen schwören auf die Vollselbständigkeit, die anderen brauchen die Kombination aus angestellt + Selbstständigkeit. Jedes "Modell" hat seine Vorteile und seine Herausforderungen. Wir sollten uns von unserem Umfeld mit Sätzen wie "Du machst aber ganz schön viel." nicht verunsichern lassen. Es gibt eben nicht nur die eine Lösung. Und daraus leitet sich auch einer meiner größten Herausforderungen der Vergangenheit ab: bei mir selbst anzukommen.

Es war gar nicht so leicht mich zu finden, in dem WAS und WIE ich es tue. Die digitale Welt bietet eine großartige Chance, sich persönlich und als Selbstständige weiterzuentwickeln. Sie birgt gleichzeitig auch die Gefahr, sich zu verlieren. Irgendwann siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht und vergisst dich selbst.
Es hat zum einen einige Zeit in meiner gesamten Laufbahn als Selbstständige gedauert um herauszufinden: wie ich gerne arbeite; welches Umfeld ich brauche, um kreativ zu sein; was ich tun muss, wenn ich spüre, dass es mal wieder nicht weiter geht. Zum anderen habe ich für mich auch herausgefunden, welche berufliche Kombi und welcher fotografischer Bereich mich glücklich macht.

Wie wichtig ist es dir, dich immer wieder neu zu erfinden und warum?

"Wir alle haben nur dieses eine Leben." Wenn du jung bist, dann kann dieser Satz etwas inhaltslos erscheinen. Seit den Dreißigern bleibe ich immer mal wieder stehen und frage mich: Wie geht es mir? Bin ich noch glücklich mit dem, was ich gerade tue? Und genau darin liegt die Kunst des Lebens: Bei sich zu sein und wenn es passend erscheint, sich neu auszurichten. Mir ist das besonders wichtig mich weiterzuentwickeln, nie stehen zu bleiben. Denn für den Stillstand ist das Leben viel zu kostbar.

Fotografie kann sehr wettbewerbsintensiv sein. Was hat dir geholfen, dich in der Branche zu behaupten und was rätst du deshalb anderen Kreativen?

Ich würde behaupten, dass es viele kreative Berufe gibt, die sehr wettbewerbsintensiv sind. Egal was wir machen: Es gibt immer auch andere in der Branche. In den Coachings, die ich zum Thema Selbstständigkeit gegeben habe, war und ist das auch immer wieder ein Thema: Lohnt es sich denn überhaupt, sich auf diesem oder jenem Gebiet selbstständig zu machen? Meine Antwort darauf: "Wenn du dafür brennst, dann JA, tue es!". Wichtig dabei ist der Aufbau deiner ganz individuellen Marke, die deine Persönlichkeit und Expertise widerspiegelt. Die stetige Weiterentwicklung und die Sichtbarkeit spielen darüber hinaus auch eine wichtige Rolle. Die Selbstständigkeit hat viele Facetten: wunderschöne, steinige und auch mal verdammt harte - jede einzelne Erfahrung lohnt sich und bereichert unser Leben. Wie bei so vielem im Leben sei gesagt: Keiner klopft an deine Tür, wir müssen das Leben selbst in die Hand nehmen.

Du setzt dich für Frauen-Empowerment ein. Wie zeigt sich das in deiner Arbeit?

Ich liebe es, mich mit anderen Frauen auszutauschen; miteinander zu wachsen, zu inspirieren und mich inspirieren zu lassen und auch Frauen fotografisch zu begleiten. Wir sollten füreinander da sein; uns Mut machen; uns viel mehr zutrauen und das, was wir gelernt haben, auch weitergeben. Mir liegt das Thema Frauen-Empowerment sehr am Herzen, weil wir Frauen einfach noch jede Menge aufholen dürfen, sollten und müssen. Es gibt noch jede Menge zu tun und jede:r von uns, ob Frau oder Mann, trägt die Verantwortung an dieser Stelle positive Veränderungen voranzutreiben.

Freelancer:innen kennen alle mal Phasen der Unsicherheit. Was rätst du Selbstständigen, die gerade eine Krise durchlaufen?

Ich würde ja behaupten, dass jede:r Phasen von Unsicherheiten hat: die einen mehr, die anderen weniger, aber es gibt sie. Ich denke, dass wir vermutlich unser ganzes Leben nicht davor gefeit sind. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass man mit jeder Erfahrung im Leben (sei es beruflich oder privat) über die Jahre etwas entspannter wird. Mein Rat in unsicheren Phasen ist: Sprich über deine Gefühle, lass deinen Emotionen freien Lauf und versuche dann aber aus den Emotionen raus wieder zurück in die Realität zu finden. Wirf einen Blick von oben auf die Dinge und versuche herauszufinden, was du an der Situation verändern kannst. Manchmal sind nur kleine Stellschrauben notwendig. Wenn es keinen Menschen in deinem privaten oder beruflichen Umfeld gibt, mit dem du darüber sprechen kannst, dann buche dir einen Coach aus deiner Branche.

Gibt es auch Freelance-Aspekte, die du manchmal herausfordernd findest?

Ich liebe es, in meinem Tempo meine Ideen umzusetzen. Ich entscheide, welches Shooting auf meiner Website zeige und nur ich bestimme, welchen Wert meine Arbeit hat. Ich trage die vollumfängliche Verantwortung für meine Unternehmung. Herausfordernd empfand ich – gerade zu Beginn meiner Selbstständigkeit – die blinden Flecken und vielen Entscheidungen. Niemand erzählt dir alles rund um die Selbstständigkeit. Es gibt immer wieder Themen, die mir über den Weg gelaufen sind und von denen ich vorher noch nie etwas gehört habe, zum Beispiel sie KSK-Abgabe bei bestimmten Leistungen, auch wenn man gar kein:e eingetragene:r Künstler:in ist.

Welchen Tipp gibst du anderen Freelancer:innen immer weiter?

Geh deinen Weg, probiere dich aus und fokussiere dich auf deine Stärken. Hole dir professionelle Hilfe rund um die Selbstständigkeit, vernetze dich und sprich über Leidenschaft und Träume. Sei mutig und denk daran: Nichts ist in Stein gemeißelt und es gibt immer einen Plan B.

Über Madeleine Dietrich

Madeleine Dietrich ist gebürtige Berlinerin und lebt seit 2006 in ihrer Wahlheimat München. Mit Ausnahme eines kleinen Abstechers in den Deutschen Bundestag, war die gelernte Kauffrau für Bürokommunikation & Diplom Kauffrau (BWL) überwiegend in der Kreativbranche (Design- und Strategie-Agentur) und in der Hochzeitsbranche unterwegs. Sie liebt es, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten. Ihre Stärken lebt sie heute in zwei Bereichen aus: im Personalbereich (als Angestellte) und selbstständige Fotografin, mit Fokus auf Business Portraits und Events. Mehr zu Madeleine Dietrich findet ihr auf ihrer Website, Instagram und ihrem Portfolio.

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Und eine spannende Recherche-Reise für mutige Journalist:innen haben wir auch:

Hast du einen Job zu vergeben?

Schickt uns eure Jobs/Aufträge/Themensuchen, dann nehmen wir sie am 29. April 2025 mit. Hier geht es nochmal zu unserer Folge mit den FAQs für Auftraggeber:innen.

Das sind wir: 

Antonia Wille, geboren 1986, ist freie Journalistin, Autorin und Content-Strategin. Nach ihrem Studium der Theaterwissenschaft, Neueren Deutschen Literatur und Italianistik begann sie als freie Journalistin für renommierte Publikationen wie stern, W&V, t3n, Elle sowie den Münchner Merkur und die tz zu schreiben. Seit 2008 ist sie Teil der deutschen Blogosphäre und gilt als Pionierin der Modeblogger-Szene. 2013 gründete sie gemeinsam mit Amelie Kahl und Milena Heißerer das Blogazine amazedmag.de, eines der einflussreichsten Online-Magazine für junge Frauen in Deutschland. Neben ihrer Tätigkeit als Journalistin und Content Creatorin lehrt sie als Dozentin für Social Media und berät Unternehmen und Agenturen in den Bereichen Content Marketing, Branding, Influencer Marketing und Social Media. Ihr erstes Buch „Angstphase“, ein literarisches Sachbuch über das Leben mit einer Angststörung, erschien 2020 im Piper Verlag. Mehr über sie findest du auf ihrer Webseite, Instagram und LinkedIn.

Michèle Loetzner, geboren 1982, hat Literaturwissenschaft an der LMU und der University of Helsinki studiert und währenddessen als Praktikantin in vielen deutschen Medienhäusern Kaffee gekocht und nachts gekellnert, um das alles zu finanzieren. Sie arbeitet nun seit fast 20 Jahren als Journalistin, die letzten zwölf davon frei, und achtet deshalb besonders darauf, dass Nachwuchs Chancen bekommt. Sie schreibt Reportagen und Essays für das SZ-Magazin, die Zeit und viele mehr, arbeitete aber auch als freie Textchefin für Magazinlegenden wie die deutsche Vogue. Sie hat den Bestseller “Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen” (DuMont) geschrieben, der mittlerweile in mehr als sieben Sprachen übersetzt wurde. Sie spricht auf Bühnen und hostet Podcasts. Still und leise half sie in den letzten Jahren Unternehmen, ihre Workflows zu optimieren und Medienprodukte zukunftsfähig zu machen, begleitete Change-Prozesse und zeigte Teams, wie sie besser arbeiten können. Seit Februar 2025 kümmert sie sich festangestellt um die Kommunikation des ISI: Munich International Stone Center for Inequality Research. Zu ausgewählten Themen schreibt sie weiter frei und spricht auf Kongressen und Konferenzen. Manchmal wird sie sogar für Preise nominiert. Ab und an gewinnt sie die auch. Mehr über sie findest du auf ihrer Webseite, Instagram und LinkedIn.